Was passiert, wenn man Erde, Samen und Menschen aus aller Welt zusammenbringt? Im besten Fall entsteht ein Garten. Im schönsten Fall entsteht ein Zuhause. Genau das gelingt seit über zehn Jahren im Rahmen des Projekts «HEKS Neue Gärten Ostschweiz». Mittendrin: Adelheid Karli, 56, Gärtnerin, Sozialpädagogin und Gartentherapeutin aus Teufen. Als Standortverantwortliche in der Stadt St.Gallen und Kreisverantwortliche begleitet sie mit Herzblut Menschen, die in der Schweiz neu anfangen – und denen der Garten oft mehr gibt als nur frisches Gemüse.
Inklusion beginnt im Beet
«Viele Menschen, die zu uns kommen, sind aus ihrer Heimat entwurzelt – hier dürfen sie wieder Wurzeln schlagen», sagt Karli. Die Gärten sind für viele Teilnehmende ein sicherer Ort inmitten einer oft fremden Welt. Sprache, kulturelle Codes, Isolation – all das erschwert die Integration. Im Garten hingegen zählt, was man mitbringt: Hände, Erfahrungen, Geschichten. Die Projektstandorte – etwa in Arbon, Rorschach, Lichtensteig, Chur oder St.Gallen – sind bewusst niedrigschwellig konzipiert. Mitmachen können alle, die bereit sind, regelmässig mitzugärtnern. Vorkenntnisse? Nicht nötig. Sprachkenntnisse? Nicht Voraussetzung. Was zählt, ist der Wille zur Begegnung. Beim gemeinsamen Arbeiten lernen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft kennen, unterstützen sich gegenseitig und finden über das Gärtnern zu einer gemeinsamen Sprache – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. «Im Garten lernen die Teilnehmenden nicht nur etwas über biologischen Anbau, gesunde Ernährung oder Umwelt», so Karli. «Sie lernen auch, dass sie dazugehören.»
Ein Ort, der Perspektiven sät
Gerade für Menschen mit Fluchterfahrung oder in prekären Lebenslagen bietet der Garten Struktur und Stabilität. Die regelmässigen Treffen, Workshops und Veranstaltungen – etwa zu Themen wie Klimaschutz, nachhaltigem Konsum oder Gesundheitsförderung – schaffen Verbindlichkeit und Orientierung. Viele Teilnehmende erleben im Garten zum ersten Mal seit langem wieder Selbstwirksamkeit: Sie übernehmen Verantwortung, entscheiden und gestalten mit. Dabei ist das Projekt nicht als Einbahnstrasse gedacht. Auch die Schweizer Gesellschaft profitiert: von interkulturellem Austausch, lebendigen Quartieren mit grünen Oasen und einer inklusiveren Nachbarschaft. Die «Neuen Gärten» stehen allen offen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Sie machen sichtbar, wie Integration gelingen kann – jenseits von Behörden und Formularen.
Gemeinschaft, die bleibt
Dass das Konzept im «Lattichgarten» aufgeht, zeigen die vielen Rückmeldungen: «Im Garten bin ich nicht allein.» – «Ich habe Freundschaften gefunden.» – «Ich lerne nicht nur über Pflanzen, sondern auch über das Leben hier.» Für viele ist der Garten ein Ort, an dem sie wachsen – ganz im eigenen Tempo. Auch Seniorinnen und Senioren finden hier einen Platz und bringen ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung ein. Kinder spielen zwischen den Beeten, Nachbarinnen und Nachbarn kommen vorbei, um an einem Workshop teilzunehmen oder gemeinsam zu kochen. Im besten Fall entsteht so eine solidarische, diverse Gemeinschaft – mitten im urbanen Raum. «Was mich besonders freut, ist die Vielfalt der Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen», sagt Karli. «Wir haben Akademikerinnen aus dem Iran neben ehemaligen Bauern aus Afghanistan, Rentnerinnen aus der Stadt neben jungen Vätern aus Eritrea.» Kooperationen mit lokalen Akteuren wie tiRumpel, UGA (Urbanes Grünatelier, Verein Lattich, Valida, GIB, Pro Senectute oder der Stadtbibliothek bringen neue Impulse. Der rote Container, der letztes Jahr bezogen wurde, ist inzwischen ein Zentrum für Austausch, Begegnung und Bildung – und wird auch künftig für thematische Veranstaltungen genutzt, beispielsweise zu Migration, Klima oder Gesundheit.
Die Zukunft ist gepflanzt
2025 wird ein buntes Gartenjahr – mit Workshops, Gartenfesten, Erzählrunden und neuen Gesichtern. Alle sind eingeladen, mitzugärtnern oder einfach mal vorbeizuschauen. Denn eines ist klar: Gesellschaftliche Teilhabe beginnt im Kleinen. Und manchmal beginnt sie in einem Beet. «Ich sehe, wie Menschen durch das Gärtnern aufblühen», sagt Adelheid Karli. «Und das ist das schönste Ergebnis unserer Arbeit.»
Mehr Informationen unter: www.heks.ch/neuegaerten
Von Benjamin Schmid
Artikel in den St. Galler Nachrichten vom 25.5.2025